Zusammenschauen – Bilder von Elfi Wiese
Ausstellung im Auedeich 3 vom 29. März bis 09. Mai 2009
von Roland Wiese
In der Einladung steht ja dieses merkwürdige Wort: Wortbetrachtung. Betrachte ich nun einen Zusammenhang, den ich innerlich vor Augen habe mit Worten, und mache ihn dadurch auch für andere sichtbar? Oder betrachte ich ein Wort: Zusammenschauen?
Ich habe tatsächlich eine innere Wirklichkeit vor Augen. Und ich möchte mit Hilfe des Wortes Zusammenschauen, man könnte auch sagen mit Hilfe der Tätigkeit des Zusammenschauens, dieses innere Erleben erlebbar machen.
Jeder, der zu einer solchen Aussstellungseröffnung geht, denkt vielleicht, dass er die Bilder anschaut, für sich, – und neben ihm sind auch andere, die auch die Bilder anschauen, für sich. Mir kam durch den Titel Zusammenschauen für diese Ausstellung ein Doppeltes vor Augen: Einerseits werden die einzelnen Bilder in einer solchen Ausstellung von einzelnen Menschen zusammengeschaut, sie bleiben einzeln, und bilden doch auch einen unsichtbaren Zusammenhang im einzelnen Menschen…; andererseits schauen die vielen Menschen die Bilder zusammen an. Ein Zusammenschauen, – jeder für sich, und doch real auch zusammen. Meine Frage, oder auch mein anfängliches Erleben bestand darin zu ahnen, dass dieses Zusammenschauen eine Art Substanzbildung sein könnte.
Bei Ausstellungseröffnungen, die ja mehr eine Art Geburtstagsfeiercharakter haben, ist dies oft nicht so intensiv zu erleben, wie in einem Museum, wo wildfremde Menschen gemeinsam, und doch jeder für sich, sich die gleichen Bilder anschauen. Es kann manchmal dann eine Stimmung im Raum sein zwischen den Menschen und zwischen den Menschen und den Bildern, die man zusätzlich zu der Stimmung dazu empfinden kann, die die Bilder alleine herstellen würden – wäre ich mit ihnen alleine. Vielleicht gehen Menschen, deshalb gerne in Museen, weil sie dort die Möglichkeit einer Gemeinsamkeit erleben, die in der Wechselwirkung von Menschen und Bildern entstehen kann, und dadurch etwas geistig-seelisches hat, eine Art Objektivität, die wohltuend ist.
Eine solche Gemeinsamkeit, ist natürlich sehr fragil, wie auch die Gemeinsamkeit mit den Bildern leicht irritierbar ist, sie ist auch nicht zu konstruieren, aber sie könnte sehr präzise situativ beschrieben werden… – es handelt sich im besten Sinne um eine Verstärkung, und Öffnung des eigenen Sehens. Ich könnte natürlich auch viel darüber berichten, wie ich ein solches Sehen stören, verschließen, trüben kann; aber hier geht es ja um das Zusammenschauen, also um die Ermöglichung des Sehens. Denn das Sehen ist die Art von Wirklichkeit des Zusammenhangs zwischen mir, den Menschen und den Bildern. Es ist Sehen und das Gefühl des Sehens der anderen und das Gesehen werden. Diese Betonung des Sehens durch das Sehen mehrerer, hebt die Wirklichkeit in dieses Sehen hinein. Sie wird ein wenig durchsichtig. Man kann das daran bemerken, dass man immer mehr sieht. Ich schaue nicht nur die Bilder zusammen, mit den Menschen zusammen, ich schaue auch mein Sehen zusammen. Das Gesehene von eben, wird zum Sehen von jetzt. Jedes Sehen eröffnet ein neues Sehen. Das Gesehene, wird so, immer mehr zum Ergebnis meines Sehens. Und ist danach nicht mehr so wie zuvor. Nur für mich? Möglicherweise. Es ist nichts Äußeres mit den Bildern verändert. Und doch führt eine gewisse Anerkennung, ein Erkennen dazu, dass sie an Ausstrahlung gewinnen, – sie wollen gesehen werden (wie die Menschen).
Es gibt natürlich noch weitere Folgewirkungen: In dem Augenblick, wo die anderen Menschen die Bilder beginnen anzuschauen, ist der Maler sie los, sie treten ins Leben, und der Maler ist befreit von ihnen für neue Bilder. Für den Schauenden, dagegen werden sie möglicherweise Teil seines Lebens, indem sie als Gesehenes zu seinem Sehen werden. Sie werden auch zum Teil der Natur und der Außenwelt, indem sie das Sehen der Außenwelt wie innerlich begleiten, ja stärker noch begreifen. Die Anschauung der Landschaft, des Himmels fängt sich in den gesehen Bildern wie in einer Art Figur. Und die Bilder gewinnen in dieser Begegnung an Kraft, Fülle und Existentialität. Die Welt wird zu in mir zu einem Zusammenschauen von Bildern und Natur. Vielleicht ist unser Empfinden und Erleben bestimmter Landschaftsstimmungen, gar nicht denkbar ohne die Landschaftsmalerei, insbesondere die Caspar David Friedrichs, oder auch Turners (die wiederum ohne eine bestimmte Art des Denkens des z.B. Deutschen Idealismus nicht zu ihren Bildern gekommen wären). Und heute kann dies unser Erleben unser Sehen sein. Auch dies ist ein Zusammenschauen – jetzt über die Zeiten hinweg, eine Art Geschichtsimagination des Ästhetischen.
Interessanterweise erscheint so das Zusammenschauen, als eine Art wesenhafte Form des Menschen. Dies hat auch schon Platon so gesehen und ließ den Sokrates sagen: Dieser Name Mensch (anthropos) bedeutet, dass die anderen Tiere von dem, was sie sehen, nichts betrachten, noch vergleichen oder eigentlich anschauen, der Mensch aber, sobald er gesehen hat, auch zusammenstellt und anschaut. Daher wird er unter allen Tieren der Mensch allein genannt, weil er zusammenschaut was er gesehen hat.“ Der Mensch (anthropos), als Blüte oder auch Krönung des Gesichts, oder aktueller des Sehens (anthos – Blüte, opos gesicht), ja selbst der Name ‚Anthroposophie‘ klingt in diesem Zusammenhang so wie das hier angesprochene Zusammenschauen. Die Welt will in mir blühen, oder mein Sehen ist das Blühen der Welt.