Viele Bilder in einem Werk: Elfi Wiese aus Horstedt stellt in Zeven und Hamburg aus

Stand: 12.10.2023, 16:43 Uhr von: Holger Heitmann Rotenburger Kreiszeitung

Geordnetes Chaos: Im Atelier von Elfi Wiese in Horstedt gibt es viele Materialien, nur Acrylfarbe mag sie nicht. © Heitmann, Holger

Gleich zwei Ausstellungen von Elfi Wiese laufen derzeit, neben „Alles zeigt sich neu II“ im Quab-Atelier Zeven werden im Rudolf-Steiner-Haus Hamburg noch bis 14. Januar 70 Bilder Wieses gezeigt. Horstedt/Zeven – Es ist, man muss es so sagen, eine x-beliebige niedersächsische Landstraße zwischen Steinfeld und Zeven. Eine Allee, links und rechts des Asphalts Windräder und Äcker. Trotzdem fertigte die Horstedter Künstlerin Elfi Wiese dort vor mehr als zehn Jahren mal ein Foto an, mitten im grauen Herbst. Dieses Motiv wurde der Ausgang für Wieses Bild „Rabenberg“. Auf dem ist die Straße aber kaum noch erkennbar. Denn das Werk durchlief mehrere Metamorphosen, wurde von der naiven Landschaftsaufnahme zum abstrakten, expressiven Großformat. Dieses hängt derzeit im Quab-Atelier in Zeven, wo Wiese bis 17. Oktober unter dem Titel „Alles zeigt sich neu“ ihre Bilder ausstellt. Das Quab ist eine Tagesstätte für Menschen mit seelischen Problemen, die von Wiese mit aufgebaut wurde. Die Tagesstätten-Teilnehmer malen mit der neuen Kunsttherapeutin Birgit Neske, sozusagen die Nach-Nach-Nachfolgerin Wieses, auch selbst und nehmen die öffentliche Ausstellung im Haus als Inspiration. Neske wollte es ihren Klienten leicht machen, sich Kunst anzuschauen, und lud auch deshalb Wiese ein, ihre Werke auszustellen. Gleichzeitig soll die Ausstellung nach außen ausstrahlen und Leute ins Quab locken. „Erden können sich ähneln, sind jedoch nie identisch, das fasziniert mich.“ Elfi Wiese über ihre Lieblings-Malmaterialien Wiese hat einige der ausgestellten Werke sogar im Quab angefertigt. Die meisten entstehen aber bei ihr zu Hause in Horstedt. Dort hat sie im ersten Stock ein Atelier wie aus dem Bilderbuch. Eigens eingebaute Dachfenster sorgen für ausreichend Licht, in einer Sitzecke stehen Rothko- und Schiele-Kunstbände, an den Wänden lehnen fertige und halbfertige Bilder. Gegenüber steht eine Staffelei vor einem schweren Holztisch, auf dem das geordnete Chaos herrscht: Plastiktöpfe, Gläser, Pinsel, eine alte Lumix-Kamera. Was man nicht findet, sind Acrylfarben.

„Es geht um Formen und Farben“: Elfi Wiese (links) und Birgit Neske, ihre Nach-Nach-Nachfolgerin als Kunsttherapeutin im Quab-Atelier, vor Wieses Werk „Rabenberg“. © heitmann  

Damit schaffe sie nur zugekleisterte Oberflächen, erklärt Wiese. Ihre Materialien stammen oft von den Orten, die später – als neu geschaffener Gegenstand – bildlich erscheinen. Das sind vor allem Erden, Metalle, die abfärben, oder ein auf pittoreske Weise vertrockneter Mistelzweig, der nun in einem Gelb erscheint, das Wiese zur Bildfarbe verarbeitet. Die nötige Technik dafür hat sie von Künstlerkollegen gelernt. Dabei geht es ihr weniger um einen Gegensatz von natürlichen, organischen und synthetischen Materialien, den gebe es auch nicht wirklich. Aber: „Erden können sich ähneln, sind jedoch nie identisch, das fasziniert mich.“ Auf einem Bild hat sie Quadrate mit jeweils mehr oder weniger verschiedenen Erdtönen aufgebracht.

Böden aus Bad Bevensen, Beirut oder Brasilien

Und das Material ist eben das Bindeglied zwischen dem Landschaftseindruck und dem späteren Werk. Kleinformatige Bilder, die zwar mit einem Material, aber unterschiedlichen Maltechniken entstanden, hat Wiese sogar vor Ort, sprich etwa während einer Dänemark-Reise angefertigt. Wobei sie sich auch zum Beispiel von ihren erwachsenen Kindern Erden mitbringen lässt, von deren Reisen. Im Atelier hat sie wandhoch ein Regal mit Gläsern, gefüllt mit diesen Erden. Darauf sind Aufkleber mit Aufschriften(…) wie: Bad Bevensen, Beirut oder Brasilien. Die Städte oder Länder, aus denen die Erde stammt. Wiese schätzt auch den heimischen Boden, (…). Sie mag die hellen, kristalinen Körner in den sandigen Böden. Sie hat durch ihre Linien und ihren Bildaufbau einen Stil oder besser mehrere Stile aus verschiedenen Schaffensphasen, die unverkennbar für sie sind. „Es geht letztlich immer um Formen und Farben“, sagt sie. Und Zeichen, möchte man hinzufügen, doch das, was bei Wiese wie Schriftzeichen anmutet und manchen Betrachter verunsichert, ist ausgedacht und hat keinen Inhalt. Ist also ebenfalls vor allem Form.

Wiese scheut nicht die gesprochene Auseinandersetzung über ihr Werk

Anderweitig haben Worte für Wiese durchaus ihre Bewandnis, sie ist stolz auf ihren Ausstellungstitel „Alles zeigt sich neu“. Wiese ist auch keine Künstlerin, die die gesprochene Auseinandersetzung über ihr Werk scheut. Die Bilder würden beforscht, von jedem anders. Sie wünscht sich schon, dass Kunstbetrachter genau hinschauen, und für sie selbst gibt es bei ihren Werken auch ein „richtig“ und ein „falsch“, auch wenn sie das nicht erklären könne, und irgendwann ein eindeutiges „fertig“. Anhängerin eines radikalen Konstruktivismus ist sie nicht. „Ich glaube nicht, dass es Maler gibt, die nicht von einer Wirklichkeit inspiriert werden, der Wirklichkeit, die sie erleben.“ Im Erdgeschoss ihres Hauses gibt es einen Raum, der von ihrer Schaffenskraft zeugt, dort stapeln sich Leinwände mit abgeschlossenen Kunstwerken. „Andere würden sagen, ein Showroom“, der Anglizismus erscheint ihr selbst wohl etwas zu hochgestochen. An der Wand hängt ein Bild, das ihr Mann kitschig finde, eine scheinbar eindeutige Szene mit einer Brücke, an der Wiese während einer Italienreise südlich von Neapel vorbeikam. Es ist ein frühes Werk der Malerin, das für sie märchenhaft-realistisch wirkt, also durchaus kontrastreich. Wieses Bilder seien Anregung, selbst neue Ideen zu entwickeln, meint Neske. Und auch die Orte, die Wiese als Grundlage für ihre Werke nimmt, zeigten sich neu. Das sieht Wiese wohl ähnlich: „Aufgabe der Kunst ist immer, Entwicklungen anzustoßen, Neues in die Welt zu bringen.“

Zur Person

Wiese ist 1957 in Leverkusen geboren, kam für ihr Studium an der HKS Ottersberg nach Norddeutschland und nennt Horstedt heute ihre Heimat. Sie hat das Quab-Atelier 14 Jahre lang geleitet. Wiese ist verheiratet, ihre drei Kinder sind erwachsen. Seit gut 15 Jahren widmet sie sich verstärkt ihrer eigenen Kunst. 2021 hatte sie eine Ausstellung im Zevener Königin-Christinen-Haus.